Westcoast – rau, unerbittlich, wunderschön

Der Westen der Südinsel ist voller Extreme. Da die Berge ein paar Meter, nachdem der Strand aufhört, in die Höhe ragen und sich daran die Wolken stauen, regnet es fast 300 Tage im Jahr. Oft wie aus Kübeln. Überschwemmungen, Hochwasser, Wasserfälle, die sich neue Wege suchen – alles an der Tagesordnung. Die Küste ist felsig und schroff. Der Wind pfeift. Es ist oft kühl und nass. Und es ist die Hochburg der Sandflies.

 

 Nur relativ wenige Leute lassen sich in dieser Gegend nieder, um diesen Bedingungen dauerhaft zu trotzen. Erstaunlich, dass hier überhaupt jemand wohnen möchte. Aber die Westcoast hat natürlich auch ihre faszinierende Seite. Meer und Berge sind selten so nah zusammen, wie hier. Es grünt überall, der Wald ist voller Leben. Das Vogelgezwitscher ist schön und laut, aber offenbar nichts im Vergleich zu „früher“, als sowohl die Vielfalt als auch die Anzahl deutlich größer war. Die Sonnenuntergänge sind intensiv und farbenprächtig, das Meer wild und kraftvoll, die Geologie einzigartig. Nicht zuletzt ist die Westcoast immer ein Abenteuer – manchmal sogar gefährlich, wie auch ich am eigenen Leib erfahren musste.

 

Wir brechen zum Motukiekie Beach auf. Ein felsiger Strandabschnitt, der in einem einstündigen Fußmarsch nur bei Ebbe erreichbar ist. Exakte Planung ist immens wichtig -  denn nur dann kann man überhaupt zu diesem Abschnitt vordringen und es bleibt ein ca. 30-minütiges Zeitfenster, um sehr interessante Felsen und Seesterne, die sich in kleinen Pools tummeln, zu begutachten.

 

Andi und ich haben den Zeitpunkt des tiefsten Meeresstandes unabhängig voneinander gecheckt - 10:41 h - und machen uns etwas mehr als eine Stunde vorher auf dem Weg. Das Meer gibt den „Weg“ nur kurz vor Ebbe frei, und verschließt ihn auch kurz, nachdem der Tiefststand erreicht ist, wieder.

 

Wir finden die kleine Parkbucht im Nirgendwo und stellen das Auto ab. Um hinunter ans Meer zu gelangen, müssen wir einen kleinen Abhang hinunter klettern. Unten – oder besser „fast“ unten - erwartet uns ein breites, hüfthohes Schaumbad. Felsen klettern, ohne den Boden zu sehen…ein schöner Start in unsere kleine Wanderung. Am Strand angekommen sind meine Jeans voller Schaum, verdreckt vom Sand, der im Schaum steckt und nass. Toll. Das alles haben wir dem Sturm zu verdanken, der 2 Tage zuvor an der Westcoast wütete. Die Wellen rauschen noch immer ganz schön, ein beeindruckendes Schauspiel, wenn sie gegen einen der unzähligen Felsen am Strand oder draußen auf See krachen.

 

Immer schön der Wasserlinie entlang hangeln wir uns Richtung Süden. Wir überqueren kleinere Bäche, stapfen durch tiefen Sand und klettern über Felsen, die uns den Weg versperren. Immer wieder müssen wir anhalten, um eine Welle abzuwarten. Wenn wir so auf den Steinen stehen, blicken wir umher und sind fasziniert von der rauen, aber wunderschönen Landschaft. Dann springen wir weiter und hüpfen auf den nächsten sicheren Felsen, damit das Wasser um uns herumsprudeln kann.

 

20 Minuten arbeiten wir uns so nach vorne, bis wir an einen Felsbogen gelangen. Wir schießen ein paar Fotos, stellen aber auch fest, dass wir den nächsten großen Brocken nicht umlaufen können. Selbst wenn wir die Wellen abwarten, müssten wir noch immer durch einen recht tiefen Pool waten. Auch um den Felsen herum zu gehen ist nicht möglich, vorne sind die Wellen einfach noch zu hoch. Etwas geknickt beschließen wir, wieder umzukehren. Die Wellen nach dem Sturm sind offensichtlich noch immer viel höher als sonst…

Wir machen noch ein paar Aufnahmen und laufen wieder Richtung Auto. Der Tiefpunkt von Ebbe müsste nun bald erreicht sein, doch das Wasser kommt noch immer sehr nahe an den Strand. Wir machen Halt an ein paar Felsen und sehen plötzlich eine recht große Welle auf uns zukommen. Wir springen auf den nächstmöglichen Stein und schnell wird klar, dass die Füße wieder nass werden. Ich stehe auf der vorderen und kleineren Kugel und es wird mir bewusst, dass diesmal mehr als die Füße im Wasser sein werden. Die Welle kracht auf mich zu und schlägt mir bis gegen die Oberschenkel. „Nicht umfallen, nicht umfallen“ schießt mir durch den Kopf, während ich versuche, auf dem Felsen zu balancieren. Ich merke, dass der kritischste Punkt noch nicht überstanden ist – während die erste Welle versucht, mir von hinten die Beine wegzuziehen, kommt von vorne schon die Nächste auf mich zu. Andi, einen Meter hinter mir, auf einem weiteren Felsen, in sicherer Höhe, macht das, was jeder gute Freund an dieser Stelle tun würde : er holt sein Handy aus der Tasche und filmt.

 

Nach ein paar Sekunden ist der Spuk vorbei und ich rette mich in sichere Gefilde. Mein Puls ist etwas höher als normalerweise, mir wird bewusst, dass nicht viel gefehlt hätte, und ich wäre samt Rucksack, Laptop und Kameras im Ozean gelandet…

 

Auf dem Rückweg erhole ich mich langsam wieder und als wir am Auto ankommen, ziehe ich erst einmal meine kompletten Klamotten aus und lege sie auf die Steine zum trocknen. Ein zweites Auto hält an, und eine Familie steigt aus. Beim Blick auf meine „Wäscheleine“ fragen sie : „Habt ihr versucht, zum Motukiekie Beach zu kommen ?“

„Ja, aber die Wellen sind einfach noch zu hoch vom Sturm…“

„Wieso habt ihr nicht die Ebbe abgewartet ? Die ist in einer Stunde…“

 "Ähm, das war doch gerade schon, oder nicht ?“

„Laut Touristeninformation ist Ebbe heute um kurz vor 12…“

 

Andi und ich schauen uns fragend an – das war doch 10:41 heute ?! Ich prüfe meine Notizen und da steht es schwarz auf Bierkarton : DO, 10:41, FR, 11:53 h.

 

Oh…heute ist Freitag, und wir haben sowohl für gestern als auch für heute die Gezeiten nachgeschaut, da wir 2 Nächte geblieben sind…und offensichtlich beide den gleichen Fehler gemacht und nur an die Zeit vom Donnerstag gedacht…unerklärlich, wie uns Profis sowas passieren kann…

 

Ich lasse Andi nach Hause fahren und setze mich auf den Beifahrersitz. Als wir an einer Baustelle halten müssen, steige ich aus und hole mir ein Bier aus der Kühlbox. Auf den Schock muss ich erst einmal etwas trinken… Bis heute kann ich nicht begreifen, wie wir beide so danebenliegen konnten…

 

Zum Glück ist die Entschädigung – wie so oft - nicht weit. Am Abend laufen wir zu den Pancake Rocks und erleben dort einen tollen, farbenprächtigen Sonnenuntergang.

 

Westcoast : rau, unerbittlich, wunderschön. Es liegt so nah beisammen…

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Sonja (Freitag, 10 März 2017 06:54)

    Und wo ist das Video von Andy? :-)
    Vielleicht habt ihr nächstes Mal besseres “timing“...

  • #2

    Fred (Freitag, 10 März 2017 08:41)

    Es ist hier leider nicht ganz so einfach Videos reinzustellen...

  • #3

    Fred (Freitag, 10 März 2017 08:42)

    Sonst hätte ich es natürlich sofort mit reingepackt ;-)