Die Dunkelheit ruft, zum Dritten

Nach der Aufregung der letzten Tage lasse ich es erst einmal ruhig angehen. Nach der Rückkehr vom Whale Rock (bei dem Namen musste ich mir den Fels einfach anschauen, wobei ich zugeben muss, dass ich den Wal nicht so richtig gesehen habe – es sei denn, die ganze Kletterei hat auf dem „Rücken“ des Meeressäugers stattgefunden…naja) gibt es erst einmal Mittagsessen : Sowohl Lachs als auch Steaks stehen auf der Speisekarte. Die etwas seltsam anmutende Kombination ist der Aktion des gestrigen Abends geschuldet – nach meiner „Rettungstat“ war es einfach zu spät zum Essen.

 

Beim Geschirr spülen treffe ich auf Tom, der voller Freude Reinigungsarbeiten verrichtet. Er und seine Frau arbeiten schon fast ein Jahr auf dem CP und verdienen sich so etwas Zusatzrente. Nicht weil sie müssen. Weil es ihnen Spaß macht.

 

Sie haben (fast) alles verkauft und leben in einem „Motorhome“, das ungefähr die Größe eines 50-Mann-Buses hat. Zudem gibt es einen Anhänger, der Platz für einen Whirlpool und einen Jeep bietet. Echt unfassbar, aber keine Seltenheit hier. Auf dem Highway habe ich einmal ein Gespann gesehen, bei dem es mir auch die Sprache verschlagen hat : Wohnmobil (groß), ein Pickup rollt 'an der Stange' brav hinterher, auf der Ladefläche des Pickups eine Goldwing. Echt…

Es stellt sich heraus, dass Tom leidenschaftlicher Jeep-Fahrer ist, und zwar Off-Road. Er lädt mich ein, mit ihm eine Tour zu unternehmen – da bin ich doch gerne dabei ! Eine genaue Vorstellung habe ich zwar nicht, was mich da erwartet, aber es wird bestimmt toll.

 

Um halb 4 holt er mich vor meinem Zelt ab, in meinem Gepäck habe ich meine GoPro, meine Kamera, Wasser, eine Jacke und eine Taschenlampe (ja, ich habe gelernt, die kommt ab jetzt immer mit, auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist, dass ich sie benötige !). Ich werfe alles auf die nicht vorhandene Rückbank und los geht die Kaffee-Fahrt.

 

 

Wir biegen 2-3 Mal ab und schon sind wir im Nirgendwo. Tom kennt sich hier in den Hügeln um Moab aus, wie in seiner Westentasche. Jeden (!) Tag macht er sich auf ins Gelände und erkundet seine Wahlheimat.

 

Schon nach ein paar Metern korrigiere ich meine vage Vorstellung dieses Trips : es geht hier keineswegs um eine zackige Fahrt auf unebenen Feldwegen, gleich zu Beginn durchqueren wir 2 kleinere Bäche, und sowas wie Wege gibt es hier so gut wie nicht. Ja, es ist (meist) klar, wohin man sein Gefährt als nächstes steuert, aber wir bewegen uns oft mehr kriechend denn fahrend fort. Das Terrain erlaubt einfach keine schnellere Herangehensweise. Ich werde bei Schneckentempo schon ordentlich durchgeschüttelt, und schnell wird mir klar, warum der Jeep sowohl über einen Überrollkäfig, als auch gepolsterte Haltegriffe an allen möglichen Stellen verfügt. Unsere „Straße“ besteht zum größten Teil aus Steinen und Felsbrocken, lose ist der Untergrund zum Glück jedoch nicht. Gelegentlich geht es so steil hoch oder runter, dass ich nur das Blau des Himmels oder das Armaturenbrett vor mir sehe.

Es ist äußerst faszinierend, wie Tom’s Wagen die Hindernisse überwindet. Und man merkt dem Mann an, dass er täglich in diesem Gelände unterwegs ist. Ja, es knirscht, knarrt, schleift und kratzt ab und zu. „Dafür ist das Auto doch da“, meint Tom.

 

Mehr als ein Mal frage ich mich, wie es DA weitergehen soll, doch wir meistern alles, was sich uns in den Weg stellt.

 

 [Einschub : Leider kann ich meine eigenen Aufnahmen hier nicht so einfach einstellen, deshalb ein Link, um eine ungefähre Vorstellung zu bekommen, wie das so ausgesehen hat :

www.traildamage.com/trails/behind_the_rocks/060603/cheryl_down_white_knuckle_hill.wmv

Alternativ auf You Tube mal nach : „Axel Off Road and Moab 4x4 Outpost @ Mashed Potato“ suchen]

Die Stunden vergehen wie im Flug, und ich bin froh, dass ich heute Mittag gleich 2 Mahlzeiten zu mir genommen habe, ansonsten hätte ich nun bestimmt schon Hunger bekommen. Wir hangeln uns weiter von Fels zu Fels, ab und zu schalte ich meine GoPro ein und wenn es mir zu brenzlig wird, steige ich aus. Als Kamermann muss man auch mal die Perspektive wechseln, Abwechslung ist gefragt Heutzutage.

 

Wir erreichen eine Gabelung – nach rechts (für mich gefühlt gen Heimat) möchte Tom nicht, die Route hat er kürzlich erst genommen. Die Wahl fällt also auf „links“, Tom ist in Entdeckerlaune. Warum ich gerade jetzt ein leichtes Klingeln im Hinterkopf höre, ist mir schleierhaft. Auf nach links, auf ins Abenteuer !

 

Auf einem erhöhten Platz machen wir kurz Rast. Ich möchte etwas trinken und den Sonnenuntergang fotografieren. Es ist herrlich hier draußen, wir sind so weit „ab vom Schuss“ – kein Zweiter normaler Tourist war jemals an diesem Flecken Erde, da bin ich mir sicher. Als Tom das Licht einschaltet, und ich mich an seinen Satz von vor 2 Stunden erinnere („im Dunkeln fährt es sich hier draußen nicht so gut, weil man trotz Licht den Weg nicht richtig sieht“ – die Scheinwerfer sind einfach zu selten „waagerecht“ / Anm. d. Red.) frage ich mich, ob Tom schon jemals hier war. Oder sonst jemand.

Im Dunkeln kommen wir noch etwas langsamer voran, als im Hellen. Es ist schwer, zwischen einem Hindernis, das zur Strecke gehört, und einem unüberwindbaren Hindernis zu unterscheiden. So wie jetzt gerade.

 

Da fällt mir meine Taschenlampe wieder ein. Schnell grabe ich sie aus, springe nach draußen und leuchte die Umgebung aus. Ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich glaube, wir müssen nach rechts. Dort schimmert der Ansatz eines Pfades. Tom möchte nach links, gibt aber nach dem ersten Versuch auf. Rechts ist (etwas) besser.  

 

Tom versucht, sein Handy in Gang zu bringen. Er hat zwar auch ein Navi, und sogar eine Karte, auf der alle Off-Road-Straßen in und um Moab eingezeichnet sind, aber er kann es seit dem Kauf nicht zum Laufen bringen. Das Handy zeigt dafür erstaunlicherweise an, wo wir uns befinden, und kennt sogar unseren „Trail“. Ein toller Erfolg. Noch 13 Meilen bis nach Hause. Leider lässt sich nicht erkennen, welchen Anteil davon „richtige“ Straßen einnehmen. Immerhin sollte nun verhindert sein, dass wir (nochmal ?) falsch abbiegen.

 

Das Abendessen schminke ich mir spätestens jetzt aber ab und ich frage mich, ob Dottie, Tom’s Frau, sich Sorgen macht oder vielleicht schon die Kavallerie losgeschickt hat, um nach uns zu suchen. Ich kann mir vorstellen, dass Tom üblicherweise früher zu Hause is(s)t. Ihn stört den Anruf in Abwesenheit nicht, auf den ich ihn hinweise (das Handy ist in meiner Hand, ich bin jetzt quasi zum Co-Piloten aufgestiegen), er nimmt an, dass er hier sowieso nicht telefonieren kann. Womit er vermutlich recht hat.

Weiter geht’s – Co-Pilot Fred checkt das Handy, alles läuft nach Plan. Ab und an steige ich aus, um die Felsen und unseren Weg auszukundschaften. Auch das ist Teil meines neuen Jobs. Offiziell um diese Stelle beworben habe ich mich zwar nicht (und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, ob ich sie im Vorfeld angenommen hätte), aber ich habe meinen Spaß. Weiterhin. Auf die ganz steilen Anstiege und Bergab-Passage könnte ich zwar verzichten, da man im Dunkeln erst mittendrin so richtig merkt, was gerade vor sich geht. Und die Sache mit dem Kamermann zieht jetzt leider nicht mehr. Kein Licht. Batterie leer. Filmen ist nicht. Ich muss da also mit durch. Gehirnerschütterung vom Jeep-Fahren in der Nacht, jetzt kann ich mir vorstellen, dass das möglich ist.

 

Es vergeht noch ungefähr eine Stunde, da treffen wir auf ein Schild. Zum See ist es nicht mehr weit, sagt es uns. Tom ist erfreut, den See kennt er. Jetzt ist alles klar, er weiß, wo wir sind. Ich weiß natürlich nicht, wo wir sind, aber ich freue mich mit. So wie es sich als guter Co-Pilot gehört.

 

Unsere Straße wird langsam zu einer solchen, wir befinden uns nach einem letzten heiklen Abstieg fast schon auf so etwas wie einem Feldweg. Ein paar Minuten später haben wir eine Schotterstraße unter den dicken Rädern. Wie auf der Autobahn, denke ich – wie sich die Perspektive doch verschiebt.

 

Kurz nach 22 h sind wir endlich wieder am CP. Tom schätzt, dass wir heute 10-12 Meilen „Off-Road“ gefahren sind. Fast 7 Stunden waren wir unterwegs. Ein echtes Abenteuer, wie wir beide finden. Das war für richtige Männer.

 

Irgendwie ein Unikat, dieser Tom.

Irgendwie unvorstellbar, dass er noch jeden Tag mit seinem Jeep unterwegs ist.

Aber das ist es, was er gerne macht, so genießt er seinen Lebensabend.

Tom hat mit 12 Jahren sein rechtes Auge durch einen Pfeil verloren. Heute ist er 77.

 

Ein halbe Stunde später gehe ich wie versprochen nochmal bei ihm vorbei und wünsche ihm eine gute Nacht. Ich verabschiede mich in mein Zelt. Er liegt noch eine ganze Weile in seinem Whirlpool, der auf seinem Anhänger vor seinem Motorhome steht, und blickt in den Sternenhimmel.  

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Tim (Donnerstag, 29 September 2016 08:45)

    Hey Fred,

    mach weiter so :-)
    Verfolge dein Blog mit Freude!
    Hoffe du hast eine gute Zeit und passt auf dich auf.

    LG
    Tim